Gute Pädagogik in Risikozeiten – Widerspruch, Herausforderungen, Chancen.

Autor: Mario Braun – www.braunmario.de

Das Jahr 2020 ist geprägt vom Umgang mit einer Herausforderung, die wir in einem solchen Ausmaß kaum erahnt haben. Die Ausbreitung des Corona-Virus wirkt in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und gibt scheinbar Entscheidungsrichtungen in allen möglichen Dimensionen vor. In einer Zeit größter Verunsicherung, anfangs allein zur Gefährlichkeit des Virus und seinen Verbreitungswegen, später vermehrt auch zur Notwendigkeit der ergriffenen
Gegenmaßnahmen, scheint die Kita als Institution nahezu widerspruchslos auf eine Rolle reduziert zu werden, aus der sie sich in jahrzehntelangem mühevollem Ringen gerade erst zu befreien begonnen hatte. Sie wird zum bloßen Betreuungsort für die Kinder der mehr oder weniger systemrelevant beschäftigten Eltern.
Spätestens mit Verkündung der vorübergehenden Schließung der Kitas zum 16. März 2020 im Rahmen des ersten Lockdowns verschiebt sich der Fokus der Kindertagesbetreuung allein auf die Sicherstellung von Betreuungsangeboten für die Kinder jeweils unterschiedlicher Elterngruppen. Selbst noch im November 2020, acht Monate nach Beginn der Einschränkungen, wird in der öffentlich geführten Debatte zum Thema Kita um Regelungen zu Öffnungszeiten und
Gesundheitsschutz der Pädagog*innen gerungen. Die Qualität der Betreuungsangebote, pädagogische Grundprinzipien wie die Kindzentrierung oder gar die Anerkenntnis von Kita als Bildungsort scheinen aus dem öffentlichen Bewusstsein zwischenzeitlich nahezu gänzlich verschwunden zu sein.

Wie also kann ein Zurück zu guter Pädagogik, ein Zurück zu einer konsequent an den Bedarfen und Bedürfnissen der Kinder ausgerichteten Pädagogik, gelingen? Ist in Zeiten einer Pandemie ein Nachdenken darüber erlaubt, was Kinder wirklich brauchen, wenn die Welt um sie herum aus den Fugen zu geraten scheint, der sichere Ort Kita auf einmal nicht mehr wie selbstverständlich zugänglich ist und Eltern sich teilweise um ihre wirtschaftliche Existenz sorgen müssen? Und warum war der Weg aus einer modernen offenen Pädagogik in eine Betreuung in festen voneinander streng getrennten Kleingruppen mit geringsten Beteiligungsmöglichkeiten der Kinder scheinbar so leicht zu gehen, während der Weg zurück auch in Zeiten geringen Infektionsgeschehens und nahezu uneingeschränkter Möglichkeiten teilweise so unbegehbar schien.

Mit der Verfügung zur Schließung aller Kitas aufgrund der Ausbreitung des Corona-Virus zum 16. März 2020 verschließt sich für die Mehrzahl der ca. 84.000 Kinder (vgl. Blom, A. 2020) in Thüringer Kitas ihr gewohnter und sicherer Erfahrungs- und Lernort faktisch über Nacht. Abgesehen von einer geringen Anzahl von Kindern, für die aufgrund der Berufsausübung ihrer Eltern in einem systemrelevanten Bereich eine Notbetreuung vorgesehen ist, werden den Kindern damit vor allem Möglichkeiten entzogen, in altersentsprechend gestalteten Lernumgebungen begleitet von pädagogischem Fachpersonal interessengeleitet und gemeinsam mit Gleichaltrigen spielend zu lernen. Neben der Schließung der Kitas begrenzen die gleichzeitige Sperrung von Spielplätzen und eine allgemeine Kontaktbeschränkung zudem die Möglichkeiten des Zusammenkommens mit Freundinnen und Spielgefährtinnen.

Gerade in den ersten vier Wochen des Lockdowns beschränken die Menschen in Deutschland ihre sozialen Kontakte deutlich. So geben im Rahmen der Befragungen zur Mannheimer Corona-Studie für die Woche vom 27.3. bis 2.4. ganze 91% der Befragten an, sich in den sieben Tagen vor ihrer
Befragung gar nicht oder nur einmal mit Freundinnen, Verwandten oder privat mit Arbeitskolleginnen getroffen zu haben (vgl. Blom, A. 2020). Unter die Marke von 80% fällt die Zahl erst zu Beginn des Monats Mai. In der Konsequenz sind auch die Kinder der Familien in dieser Zeit im Wesentlichen ausschließlich mit ihren engsten Familienangehörigen in Kontakt. Dieser Rückzug der Familien ins engste Private geht einher mit einer allgemeinen Verunsicherung.
Über die Virusverbreitung und die Folgen einer Covid-19-Erkrankung wird anfangs noch viel spekuliert, die Einschränkungen im Einzelhandel führen zu Hamsterkäufen und der vorübergehenden Knappheit von Waren des täglichen Bedarfs, die finanzielle Absicherung im Falle des längerfristigen Arbeitsausfalls wegen der notwendigen Betreuung der eigenen Kinder Zuhause ist teilweise unklar. Kurzum, Familien sehen sich zahlreichen belastenden Faktoren ausgesetzt.
Darüber, wer die Betreuung der Kinder Zuhause übernimmt, entscheidet im Regelfall die Einkommenssituation der Eltern (vgl. ebd.). Zeigen sich anfangs Arbeitgeber zumeist sehr entgegenkommend, was die Realisierung der Kinderbetreuung anbelangt, so sind mit zunehmender Dauer der Kitaschließung mehr und mehr Familien damit konfrontiert, dass Arbeitgeber die baldige Rückkehr an den Arbeitsplatz verlangen. Der Druck auf die Familien wächst und stellt dem Gewinn an gemeinsamer Familienzeit wachsende Existenzängste bei. Die Funktion der Kita als Messfühler in einem Frühwarnsystem zu familiären Überlastungssituationen ist durch den Ausschluss der meisten Kinder aufgehoben.

Während Kinder die Gefährlichkeit des Virus durchaus verstehen (vgl. WIFF 2020) und das Mehr an gemeinsamer Zeit in Familie genießen, vermissen sie den Kontakt zu Freundinnen sowie die Austausch- und Spielmöglichkeiten mit den bekannten Spielgefährtinnen deutlich (vgl. ebd.).

Seitens der Kitas gelingt das Einstellen auf die neue herausfordernde Situation in der Regel schnell. Eine durch das Thüringer Bildungsministerium (TMBJS) vorgegebene anfangs sehr starke Reglementierung des Zugangs zur Kita-Notbetreuung sorgt mit Schließung der Kitas bei gleichzeitiger Organisation des Notbetriebs für geringe Betreuungszahlen. In der Regel kann der Ausfall pädagogischen Fachpersonals, das wegen der Betreuung eigener Kinder selbst Zuhause bleiben muss, gut kompensiert werden. Ist das Familien-Klientel der meisten Kitas im Regelbetrieb gut gemischt, verändert sich mit Übergang in die Notbetreuung das Klientel schlagartig auf das von Doppelverdiener-Haushalten in systemrelevanten Berufsfeldern und berufstätige Alleinerziehende. Durch Erwerbslosigkeit belastete Familien sind für eine längere Zeit ebenso nicht in den Kitas präsent, wie Familien, in denen sich ein Elternteil ausschließlich um Familienorganisation und Kinderbetreuung kümmert. Herausforderungen in der Elternarbeit verlagern sich. Während zumeist die Kita-Leitungen damit
beschäftigt sind, die regelmäßig angepassten Zugangsvoraussetzungen zur Notbetreuung mit Eltern zu kommunizieren und mit den Betreuungsbedarfen der Eltern abzugleichen, sind die übrigen Pädagog*innen damit gefordert, eine in die Situation passende Kommunikation mit den Eltern zu realisieren.

Dies gelingt unterschiedlich gut. In Summe lässt sich jedoch festhalten, dass die Mehrzahl der pädagogischen Fachkräfte, immerhin 96% der Tagespflegepersonen und 80% der Pädagoginnen in Kitas während der pandemiebedingten Schließung der Kitas mit Eltern in Kontakt sind (vgl. Anders/Coher/Oppermann 2020). Überwiegend geht der Kontakt dabei von den Kitas aus, lediglich in 7% der Fälle von den Eltern (vgl. ebd.). Die Häufigkeit des Kontakts differenziert dabei sehr stark. Eines jedoch zeichnet sich sowohl im Ergebnis der Bamberger Kita-Studie als auch in meinem eigenen Kontakt mit Kitas und Eltern aus der Tätigkeit als Fachberater ab. Der Kontakt zwischen Kita und Familie ist überwiegend ein Kontakt zwischen Pädagoginnen und Eltern zu Erwachsenenthemen im Kontext von Kitabetreuung. Zwar haben Erzieher*innen im Blick, Eltern bei der Gestaltung der kitafreien Zeit Zuhause mit Beschäftigungsideen und Ratschlägen zu unterstützen (vgl. ebd.), sodass im überwiegend digitalen Kontakt zwischen Kita und Familien nicht
ausschließlich organisatorische Fragestellungen behandelt werden. Jedoch findet kaum eine Kommunikation direkt mit den Kindern statt. Kinder werden zu ihren Anliegen von der Kita kaum gehört. Bemühungen darum, Kinder zumindest digital zusammenzubringen (denkbar gewesen wären hier z.B. die Empfehlung von kindertauglichen Kommunikationsmitteln, das Erstellen von online-Gruppen, die Einladung zum Hinterlassen kleiner filmischer Grußsequenzen, die dann an andere Kinder hätten weitergeleitet werden können), finden fast nicht statt. Hier zeigt sich unter Umständen die bislang nicht ausreichende Etablierung des Themas kindgerechte (und datenschutzkonforme) Mediennutzung im pädagogischen Handlungsportfolio der Kitas. So scheitert etwa der Versuch der Veröffentlichung von Video-Grußbotschaften über die Plattform youtube bei einigen Kitas am Veto der Träger, der datenschutz- oder urheberrrechtliche Bedenken anführt. Andererseits darf auch unterstellt werden, dass die eigentlichen Interessen der Kinder und der Gedanke an deren unbedingt notwendige Beteiligung in einer von Unsicherheiten und kommunikativen Innovationsbedarfen geprägten Zeit gelegentlich aus dem Blick geraten.

Bei aller Möglichkeit, es besser hätte machen zu können, bleibt aber festzuhalten, dass die Kitas in der überwiegenden Mehrheit darum bemüht sind, in Kontakt zu bleiben und Familien beim Meistern der schwierigen Gesamtsituation zu unterstützen. Und Familien schätzen diese Form der Elternarbeit. 85% der befragten Eltern, die im Kontakt zur Kita ihres Kindes sind, empfinden diesen Kontakt als hilfreich. Von den Eltern, die während der Phase der Kitaschließung nicht in den Genuss eines Kontakts kommen, bedauern dies 69% (vgl. ebd.).

Während der Kontakt zu den Familien außerhalb der Kita erst sukzessive gestaltet wird, vollziehen sich die Veränderungen innerhalb der Kita im Rahmen des Notbetriebs faktisch von einem Tag auf den nächsten. Auf Grundlage der Anforderungen des TMBJS für den Notbetrieb werden kleinste Gruppen geschaffen, die in voneinander getrennten Räumen von nicht wechselndem Personal betreut werden. Außengelände werden mit Absperrband gut sichtbar in Bereiche aufgeteilt oder dürfen plötzlich je Gruppe nur noch für eine bestimmte Zeit genutzt werden, um gruppenübergreifende Kontakte im Freien zu unterbinden. In den wenigsten Fällen haben Kinder Einfluss auf die Zusammensetzung der Notbetreuungs-Gruppen. Auch wenn nach und nach weitere Kinder in die Notbetreuung aufgenommen werden, bleiben zumeist die anfänglichen Gruppenzusammensetzungen bestehen. Neu in die Notbetreuung kommende Kinder werden in neuen Gruppen zusammengefasst. Vor der Kitaschließung selbstverständliche Formen der Beteiligung der Kinder an der Gestaltung ihres Kita-Alltags sind aus dem pädagogischen Repertoire über Nacht scheinbar getilgt. Kinder dürfen sich ihr Essen nicht mehr selbst nehmen, sich ihren Ruheplatz zur Mittagszeit nicht mehr selbst wählen. In der scheinbaren Logik der neuen Kleingruppen wird es in mancher Kita wieder zur Normalität, dass alle Kinder sich zum Schlafen legen, Aufenthaltszeiten im Außengelände werden durch das Kontaktverbotsmanagement festgelegt und orientieren sich nicht mehr am individuellen Bedürfnis des Kindes. Zu keinem Zeitpunkt taucht in einer der Verordnungen, Rahmenordnungen oder Pressemitteilungen des Bildungsministeriums ein Hinweis darauf auf, wie Kindern der Kontakt zur im Thüringer Kindergartengesetz für jede Kita obligatorisch vorgesehenen Vertrauensperson unter Notbetreuungs-Bedingungen ermöglicht werden soll (vgl. DKSB LV Thüringen 2020). Während zumindest nach den ersten Wochen der Kitaschließung über das Thema Kinderschutz im Zusammenhang mit einer zusätzlichen Belastung für die Familien diskutiert wird und in der Aufnahme von Kindern aus schwierigen familiären Verhältnissen in die Notbetreuung mündet, bleibt das Thema institutioneller Kinderschutz weitgehend außen vor. Dabei sorgt die Organisation der Notbetreuung mit Gruppentrennung, geschlossenen Türen und wegfallendem Austausch der Pädagoginnen untereinander für Rahmenbedingungen, die im Fachdiskurs zum institutionellen Kinderschutz als ausgesprochen risikosteigernd gelten. Zu alledem ist aus den Kitas kaum ein Einwand hörbar. Scheinbar problemlos gelingt die „Rolle rückwärts“ ins pädagogische Urstromland, verzichten Pädagoginnen in der Gestaltung ihres
Angebots auf die wesentlichen Elemente einer modernen kindzentrierten Pädagogik. Dabei sind die Realitäten in der Notbetreuung in Sachen Partizipation keinesfalls alternativlos. Einzelbeispiele belegen dies.

Mit der Rückkehr in einen erst eingeschränkten und später gänzlichen Regelbetrieb hätte zumindest die Möglichkeit bestanden, schnellstmöglich zu einer modernen Pädagogik zurückzukehren, die die Interessen und Bedürfnisse der Kinder wieder konsequent in den Mittelpunkt stellt. Offene Konzepte dürfen wieder realisiert werden, Kontaktbeschränkungen innerhalb der Kita sind zumindest für Pädagoginnen und Kinder nicht mehr vorgesehen. Die Beibehaltung fester Gruppenstrukturen ist explizit nicht gefordert. Das Stufenmodell, das für mehrere Monate nahezu alle Thüringer Kitas in „Phase Grün“ belässt, sieht lediglich die Notwendigkeit eines Vorbereitetseins für den Fall vor, dass das Infektionsgeschehen in der Kita selbst oder im allgemeinen Umfeld besondere Schutzmaßnahmen erfordert. Und dennoch gelingt die Rückkehr nicht uneingeschränkt. In vormals offenen Häusern werden weiterhin informelle Gruppenstrukturen gepflegt, die ein freies Bewegen der Kinder durch die Kita erschweren. Wo es einst Kinderrestaurants gab, bleiben Esstische in den Gruppenräumen stehen, wo Kinder entscheiden durften, wann sie mit wem essen gehen, gibt es feste Essensgruppen. Der Logik fester Kleingruppen folgend sind feste Schlafplätze für Kinder vorgesehen, wo es vor der Pandemie eine freie Schlafplatzwahl gab. Pädagoginnen gehen mit „ihren“ Kindern weiterhin in
den während der Notbetreuungszeit zugeordneten Bereich des Außengeländes, statt sich im gesamten Garten zu bewegen. Wo einst Türen offen standen, findet das Spiel im Gruppenraum hinter verschlossenen Türen statt. Die Idee von Funktionsräumen bleibt verwässert, weil im vorherigen Bauraum die Rollenspielecke Platz behält und natürlich die Tische für Didaktikspiele und Mahlzeiten stehen bleiben. In einigen Kitas bleibt den Eltern der Zutritt ins Haus verwehrt, die morgendliche Übergabe und das nachmittägliche Abholen der Kinder erfolgt weiterhin an der Eingangstür.

Sind wir gefangen in einer Situation, die aufgrund hoher Hygieneanforderungen und starker Unsicherheiten nichts anderes als eine strukturverliebte und gruppefixierte Pädagogik zulässt? Dagegen spricht, dass es einzelne Kitas gibt, die sehr wohl den Weg zurück in eine für die Interessen der Kinder offene Pädagogik gefunden haben. Und das sehr wohl unter den Augen der allerorten auf guten Infektionsschutz orientierten Gesundheitsämter. Seitens des TMBJS wird im derzeit gültigen Stufensystem die Realisierung eines Regelbetriebs bzw. Normalbetriebs explizit als möglich und gewollt erklärt. Infektionsschutzmaßnahmen sollen sich innerhalb regulärer Kitasysteme an Gegebenheiten anpassen und Schutz eben in den pädagogisch angezeigten
Abläufen bieten. Wenn es also nicht die äußeren Bedingungen sind, die eine gute Pädagogik gänzlich verhindern,
so müssen es andere Faktoren sein. Drei Thesen seien dazu an dieser Stelle diskutiert.

  1. Eltern nehmen einen Teil der Veränderungen durchaus gern an bzw. dulden die
    Einschränkungen als Preis dafür, dass ihre Kinder umfangreich betreut werden können,
    auch wenn dies der Partizipation ihrer Kinder zum Nachteil gereichen.
  2. Die Idee einer offenen kindzentrierten Pädagogik ist in der Breite der pädagogischen
    Mitarbeiterschaft der Kitas noch nicht angekommen. Vielmehr wäre demnach die bisherige
    Entwicklung hin zur offenen Arbeit getragen gewesen von der Vorgabe bestimmter
    Handlungsweisen und pädagogischen Rahmungen, die sehr wohl versteh- und
    nachvollziehbar waren, jedoch (noch) nicht in eine pädagogische Grundhaltung Eingang
    gefunden haben.
  3. Die Möglichkeit der machtvollen Gestaltung eines Kita-Alltags durch Pädagog*innen
    überwiegt das Wissen um die positive Wirkung von Partizipation und Kindzentrierung.

Für die erste These spricht, dass Eltern bislang nicht in Größenordnungen Kritik an den sie unverändert ausgrenzenden Realitäten geübt haben. Zwar berichten freie Träger und Jugendämter davon, dass häufiger als vor Beginn der Pandemie Elternbeschwerden eingingen. Diese beziehen sich aber überwiegend auf notwendige Verkürzungen von Öffnungszeiten oder Fragen der organisatorischen Abläufe. Zur offenen Arbeit wird im Gegenzug Kritik hörbar, wenn aufgrund eines gruppenübergreifenden Ablaufs im Falle von Quarantänemaßnahmen mehr Kinder und damit Familien betroffen sind als es in einem Kleingruppen-Setting gewesen wäre. Auch hier wird wieder deutlich, dass für den Bereich Kita aus Elternsicht eher formal organisatorische Fragen im Vordergrund stehen und pädagogisch-konzeptionelle Bedingungen eher als zweitrangig betrachtet werden. Im Wissen um die eher pragmatische Elternsicht auf Partizipationsmöglichkeiten der Kinder in der Kita ist insofern für Kita-Teams in Sachen Rückkehr zur offenen und kindzentrierten Pädagogik nahezu kein Veränderungsdruck von außen wahrnehmbar. Gegen diese These als Begründung für ein Stagnieren auf dem Weg zurück zu moderner Pädagogik spricht, dass es auch vor der Pandemie nicht zuerst die Eltern waren, die mit Forderungen nach einer offenen Pädagogik für konzeptionelle Veränderungen in den Kitas gesorgt haben. Vielmehr war es der Fachdiskurs, der beispielsweise rund um die Entwicklung des Thüringer Bildungsplans in seinen zwei Stufen (TBP-10 und TBP-18) geführt wurde und zwischenzeitlich zumindest im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte in einem klaren Bekenntnis pro Partizipation und Kindzentrierung mündet.

Für die zweite These – die offene Arbeit ist noch nicht als Grundhaltung in der Breite der pädagogischen Mitarbeiterschaft der Kitas angekommen – spricht zum einen die gefühlte Leichtigkeit bei der Umsetzung der reglementierenden Maßnahmen zu Beginn des Notbetriebs. Ausgehend von einer pädagogischen Grundhaltung, die das Kind im Mittelpunkt sieht und um das Kind herum geeignete pädagogisch durchdachte Rahmenbedingungen konstruiert, hätte es eine
Vielzahl von Fragen und Irritationen geben müssen. Diese gab es aber faktisch nicht bzw. nicht hörbar. Begleitet wird dieser Eindruck vom Wissen darum, dass die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer auf das einzelne Kind gerichteten Pädagogik auch vor der Pandemie schon eines steten Ringens von Trägern, offenen Leitungen und Fachberatungen bedurfte. Besonders deutlich ist das grundsätzliche Entwicklungspotenzial von Haltung wohl an der Frage
der Umsetzung einer inklusiven Pädagogik zu messen. Auf das Thema Inklusion angesprochen assoziieren noch immer Leitungen wie Pädagog*innen zuerst den Umgang mit Kindern mit Behinderungen. Wer Inklusion jedoch nicht in den Kontext einer Pädagogik der Ermöglichung im Umgang mit den zahlreichen existierenden Vielfaltsdimensionen setzt, wird eine konsequente Orientierung am individuellen Bedarf des einzelnen Kindes kaum wie selbstverständlich
praktizieren. Gegen die These spricht lediglich, dass es vor der Corona-Pandemie auf Grundlage der anzunehmen selben Haltungen im Querschnitt des pädagogischen Personals auch eine Praxis offener Arbeit gab. Es wäre zur Stärkung der These also zu hinterfragen, ob evtl. die Vorgaben durch Leitungen oder Träger heute maßgeblich weniger an offenen Ansätzen orientiert sind und sich daher pädagogische Handlungsweisen anders verorten.

Die Möglichkeit des Machtmissbrauchs in der pädagogischen Arbeit selbstkritisch zu reflektieren ist wesentlicher Bestandteil einer Haltung, die Grundlage einer auf das Kind gerichteten partizipativen Pädagogik ist. Zur dritten These, die pädagogisches Handeln unter dem Fokus Macht sieht, sei
vorweg genommen, dass es durchaus nachvollziehbar ist, wenn Pädagoginnen sozusagen direkt die Verantwortung für das Ergebnis ihrer Arbeit zugeordnet haben wollen. Dieses Streben ist auch anderen Berufsbildern nicht fremd und folgt dem Streben nach Anerkennung des eigenen Tuns. Im Kontext Kita wäre der vermeintliche Erfolg der eigenen pädagogischen Arbeit umso besser „messbar“, je klarer die Zugehörigkeit bzw. Abhängigkeit zwischen Kindern und betreuender/m Pädagogin ist, wenn es also möglichst kleine abgeschlossene Gruppen und eine Wahrnehmung von „meine Kinder“ gibt.
Wer in seinem pädagogischen Wirken dann einen unreflektierten Umgang mit dem Thema Macht hat, unterliegt ggf. der Versuchung, ein Methodenrepertoire in das eigene Arbeiten einfließen zu lassen, das an die Stelle des Begleitens der kindlichen Entwicklung entlang der Interessen, Bedürfnisse und familialen Prägungen ein Manipulieren hin zu einem erwünschten Verhalten setzt. Dies gelänge um so besser, je fester die Gruppe der selbst betreuten Kinder ist und je weniger damit zu rechnen wäre, dass andere Pädagog*innen die Möglichkeit der Intervention hätten.

Zu resümieren ist, dass eine einfache Erklärung für das eher verhaltene Zurückkehren in pädagogische Realitäten von vor der Pandemie nicht möglich ist. Neben einer anhaltenden Verunsicherung ob des Infektionsgeschehens und der daraus resultierenden Anforderungen spielen Fragen der pädagogischen Haltung und des (Selbst-)Verständnisses von Kita als Bildungsraum ohne Zweifel eine wichtige Rolle. Das Kind in der Beantwortung aller pädagogischorganisatorischen Fragen in den Mittelpunkt zu stellen, es als Persönlichkeit mit umfänglichen eigenen Rechten und Bedürfnissen zu sehen und Partizipation nicht nur als Floskel zu begreifen, ist eine Grundhaltung, die erarbeitet – vor allem aber immer wieder in konkrete Handlung übersetzt werden muss.

Dass dies im Moment schwerer zu fallen scheint, hat auch mit Rahmenbedingungen zu tun, die in bislang kaum da gewesener Weise alle Bereiche des
gesellschaftlichen Lebens überlagern. Um so wichtiger ist es, jetzt in den Blick zu nehmen, was scheinbar aus dem Blick geraten ist. Damit dies gelingt, braucht es Sicherheit. Für ein Mehr an Sicherheit im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen könnten transparentere, längerfristig kommunizierte und klarer adressierte Vorgaben zur Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen sorgen. Ebenso notwendig sind jedoch klare an die Kitas gerichtete Signale der Anerkennung als Bildungseinrichtung und der Anerkennung des Rechtes der Kinder auf Partizipation auch in Krisenzeiten. Solche Signale braucht es von Trägern, den Jugendämtern, den Aufsichtsbehörden, der Politik. Es braucht ferner der beständigen Reflexion der Themen Haltung und pädagogischer Fokus.
Erlaubt sein muss dabei die Frage, inwiefern Ideen moderner Pädagogik wirklich in der Breite des Berufsfeldes und spezifisch in jeder einzelnen Kita in Form von handlungsleitender Haltung vertreten sind. Eine gute Pädagogik muss sich wie selbstverständlich aus einer entsprechenden Haltung ableiten. Sie darf sich nicht aus dem bloßen Umsetzen formulierter Handlungsvorgaben ergeben. Wie pädagogische Haltung in der Breite entwickelt werden kann, muss erkennbar Inhalt des Fachdiskurses in der Pädagogik der frühen Kindheit bleiben. Und schließlich bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem Thema Macht in seiner ganzen Bandbreite. Eine konsequente Beteiligung von Kindern an der Gestaltung des Kita-Alltags bedeutet vor allem, Gestaltungsmacht an sie abzugeben. Dies ist im Vergleich zur Vorstellung von Pädagogik von vor zwanzig oder dreißig Jahren ein bedeutender Schritt.

So groß die Herausforderungen auch sind, die sich aus der Corona-Krise für Kita ergeben, es bleibt die Chance, aus der Vielzahl an besonderen Situationen in dieser Krise Lehren zu ziehen für eine gute Aufstellung der Kitas. Welche Rolle und Funktion wird Kita hier zugesprochen, wie unterscheidet sich dies von dem, was in Normalzeiten an Kita herangetragen wird? Was hat uns durch die Krise geführt, worauf konnten wir uns verlassen? Welche Unterstützerinnen hatten wir und welche bleiben uns erhalten? Und an wen müssen wir uns mit kritischen Fragen wenden, wen müssen wir für uns, für unsere Vorstellung von guter Pädagogik gewinnen? Diese und weitere Fragen sind zu stellen und bestenfalls zu beantworten. Von Pädagoginnen, den Eltern, der Politik und allen, die in Kita mehr sehen, als nur eine Betreuungseinrichtung für Kinder, die es Eltern ermöglicht, einer Berufstätigkeit nachzugehen.

Quellen:
Anders, Y.; Cohen, F.; Oppermann, E. (2020): Familien und Kitas in der Corona-Zeit. Ergebnisbericht. (Bamberger Kita-Corona-Studie) Bamberg
Blom, Annelies G. (2020): Zum gesellschaftlichen Umgang mit der Corona-Pandemie. Ergebnisse der Mannheimer Corona-Studie (Bundeszentrale für politische Bildung)
DKSB-Der Kinderschutzbund, LV Thüringen (2020): In der Corona-Krise Kinder wieder in den Blick nehmen (Positionspapier) Erfurt
WIFF-Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (2020): Die Zukunft darf machen, was sie möchte. Wie Kinder Corona sehen und in der Kita damit umgehen. Online: https://www.weiterbildungsinitiative.de/aktuelles/news/detailseite/data/die-zukunft-darf-machenwas-sie-moechte/ (Zugr.: 26.10.2020)

Gute Pädagogik in Risikozeiten – Widerspruch, Herausforderungen, Chancen.